5 Dinge, die Sie wissen sollten, bevor Sie das nächste Mal mit einer Psychologin oder einem Psychologen sprechen

Psychologin zu sein ist schon irgendwie besonders, zumindest wird es häufig so wahrgenommen. Ich habe den Eindruck, dass es für manche fast so angsteinflößend ist wie Zahnarzt. Es ist mir schon öfter passiert, dass meine Antwort auf die “Was machst du eigentlich?”-Frage zu einem Schlucken führte und das Gespräch anschließend wesentlich verkrampfter war als zuvor. Über Psychologen gibt es viele diffuse Vorstellungen und Vorurteile: sie könnten Gedanken lesen, hätten einen Knacks und sollten sich selbst therapieren, würden seltsame, fast esoterische Methoden benutzen oder entscheiden, ob Verbrecher freikommen. Keiner weiß so ganz genau, was ein Psychologe macht. Außerdem habe ich den Eindruck, dass viele Menschen das Verhalten von Psychologen anders beurteilen. Sie nehmen an, dass alles, was Psychologen tun, von ihrem “Spezialwissen” gelenkt und beeinflusst wird, welche Fragen sie stellen, wie sie ihre Beziehung führen oder wie sie ihre Kinder erziehen.

Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich als Jugendliche auf einer Freizeit zum ersten Mal auf eine Psychologin getroffen bin. Ich war immer etwas nervös, wenn die Psychologin in der Nähe war, weil ich dachte, dass sie alles Mögliche aus meinem Verhalten herauslesen konnte. Ich war mir zwar sicher, dass sie nicht meine Gedanken lesen konnte, aber mit der Befürchtung, dass sie alle meine Schwächen aus meinem Verhalten ablesen konnte, war ich nicht weit davon entfernt. Heute kann ich über meine Gedanken und Sorgen von damals nur den Kopf schütteln. Welche Macht ich einem Psychologie-Studium zumaß, grenzte schon fast an Magie!

Was macht ein Psychologie-Studium mit mir?

Diese übertriebene Ehrfurcht vor der Psychologie trug ich allerdings auch noch fünf Jahre später mit mir herum, als ich kurz davor war, mein Psychologie-Studium zu beginnen. Bei einem Termin mit einem Studienberater vom Arbeitsamt sprach ich über meine Bedenken. Ich war mir unsicher, was das Studium mit mir machen würde und ob es mich verändern würde. Besonders die Frage, inwiefern das Studium die Beziehung zu meinem Freund und alle anderen Beziehungen in meinem Leben verändern würde, trieb mich um. Ich hatte diese schreckliche Vorstellung im Kopf, dass ich alles und jeden analysieren würde und mit dem neuen Wissen, das ich mir aneignen würde, nichts mehr so wahrnehmen könnte wie vorher. So wie es in der Schulzeit passiert ist, als wir Unmengen von Texten auf Struktur und Stilmittel hin untersuchten und ich plötzlich nichts mehr so unvoreingenommen lesen konnte wie zuvor, weil ich überall nach einer tieferen Bedeutung suchte. Die Antwort des Berufsberaters beruhigte mich, weil sie das einzig Sinnvolle war, das ich bis dahin zu dieser Frage gehört hatte. Er erinnerte mich daran, dass ich jederzeit entscheiden könne, was ich mit dem neuen Wissen machen und wie ich es anwenden würde. Nur weil ich mehr über Freud und seine Psychoanalyse lernen würde - ein Teil der Psychologie, der mich besonders beunruhigte - bedeutete es nicht, dass ich selbst zur Psychoanalytikerin werden würde und das Verhalten meiner Mitmenschen auf ihre unbewussten, verdrängten Motive hin absuchen würde.

Heute nach abgeschlossenem Studium und einigen Jahren als Psychologin ist meine Vorstellung von der Psychologie und ihrer Macht etwas realistischer und nüchterner. Durch das Studium habe ich tatsächlich viel darüber gelernt, wie Menschen ticken. Ich habe aber auch gelernt, was wir alles noch nicht wissen, wo die Grenzen der Psychologie liegen und inwiefern man ihren Erkenntnissen vertrauen kann.

Da nicht jeder für diesen Erkenntnisprozess ein ganzes Psychologiestudium auf sich nehmen möchte, habe ich im Folgenden 5 Punkte zusammengestellt, die den Umgang mit Psychologen und Psychologinnen erleichtern und Berührungsängste und Unsicherheit abbauen sollen.

  1. Psychologen können keine Gedanken lesen - egal wie klug und durchdringend sie Sie anschauen, sie können es nicht.

  2. Psychologen haben keinen Röntgenblick, mit dem sie andere durchschauen können, höchstens eine Lupe oder ein Mikroskop. Im Studium lernt man alle möglichen Kategorien von Persönlichkeitseigenschaften, Neigungen, und Dispositionen kennen und Theorien darüber, wie diese Unterschiede zwischen Menschen entstehen und wie sie das Verhalten beeinflussen. Man bekommt ein größeres Vokabular um Menschen und ihre Verhaltensweisen zu beschreiben und kann sie dadurch auch genauer beobachten. Das Studium stattet also mit einer Lupe oder einem Mikroskop aus, durch das man mehr Details erkennen kann als mit dem bloßen, ungeschulten Auge. Eine Röntgenbrille, mit der man in Menschen hineinschauen kann, bekommt man aber nicht. Wer etwas anderes behauptet, lügt. Trotz Lupe und Wissen sind Psychologen allerdings eher vorsichtig und zurückhaltend, wenn es darum geht zu erklären, warum jemand etwas tut, weil sie sich der vielen Einflüsse auf das menschliche Verhalten bewusst sind und es in der Psychologie zu jeder Theorie mindestens eine Gegentheorie gibt.

  3. Psychologen sind nicht immer Psychologen, meist sind sie ganz normale Menschen und ärgern sich genauso über Stau und Schlangen im Supermarkt wie jeder andere. Sie haben weder die Motivation noch die Kapazität, jeden zu analysieren auf den sie treffen. Sie sind wahrscheinlich gerne Psychologen, aber das heißt nicht, dass sie es jede Sekunde ihres Lebens sein wollen, es ist schließlich auch nur ein Beruf.

  4. Psychologen sind genauso mit sich selbst beschäftigt wie andere Menschen auch. Wenn Sie ein Psychologe kritisch oder seltsam anschaut, hat das nicht unbedingt etwas mit Ihrem Verhalten zu tun. Vielleicht fragt er sich gerade, ob er Spinat zwischen den Zähnen hat und versucht möglichst unauffällig mit der Zunge die Zähne abzutasten.

  5. Nicht alle Psychologen sind Therapeuten oder haben eine Couch. Eigentlich werden nur 60 Prozent der Psychologie-Absolventen Therapeuten, die restlichen 40 Prozent widmen sich anderen Aufgaben wie Personalauswahl und -entwicklung, Diagnostik, Wissenschaft, Marketing, Forensik, Schulpsychologie oder Statistik.

Also, wenn Sie das nächste Mal auf einen Psychologen oder eine Psychologin treffen, seien Sie freundlich und denken Sie daran, Psychologen sind auch nur Menschen!

 

Verweise

Foto von Ben Garratt auf Unsplash