Warum sind moderne Technologien so unheimlich gut darin, uns zu fesseln? Was genau macht Apps, Online-Spiele und Social Media so unwiderstehlich für uns? - Adam Alter erklärt es in “Irresistible”

Warum ist das Internet so gut darin, uns zu fesseln? Warum genau sind Facebook, Instagram und Co. so unwiderstehlich, dass wir kaum einen Tag ohne sie auskommen? Wie sind Online-Spiele konzipiert, dass sie so süchtig machen?  Und wie finden wir einen vernünftigen Umgang mit alldem, denn ohne Internet geht es ja auch nicht.

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Mit diesen Fragen beschäftigt sich Adam Alter in seinem Buch irresistible. Und da mich alles, was etwas mit den psychologischen Auswirkungen des Internets und vor allem von Social  Media zu tun hat, brennend interessiert, musste ich es natürlich lesen. Das Buch hat nicht enttäuscht und ich empfehle es deshalb gerne hier weiter.

Falls Sie noch nichts von Irresistible gehört haben oder überlegen, es zu lesen, sind Sie hier genau richtig! Hier habe ich das Wichtigste zusammengefasst und ein paar Highlights zum Reinschnuppern ausgesucht.

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Inhalt - das steht drin

Irresistible ist in drei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil geht es darum, was eine Abhängigkeit ist, was dabei in unserem Körper passiert und worin die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen substanzgebundenen Abhängigkeiten, wie Drogen- und Alkoholabhängigkeit, und verhaltensbasierten Abhängigkeiten, wie Abhängigkeiten vom Internet und Online-Spielen, bestehen. Der zweite Teil erklärt, wie abhängig machende Erlebnisse aufgebaut sind und welche Elemente sie so unwiderstehlich machen. Im letzten Teil geht es schließlich darum, wie ein sinnvoller, nachhaltiger Umgang mit diesen fesselnden Technologien aussehen könnte, wie man ihre Eigenschaften zum Guten einsetzen kann und wo die Gefahren und Chancen zukünftiger Entwicklungen, wie Virtual-Reality-Brillen, liegen.  




Leicht verständlich, spannend und unterhaltsam

Auch wenn es sich bei Irresistible um ein Sachbuch handelt, so ist es keineswegs trocken. Das Buch ist ein geschickt zusammengeflochtener Mix aus unterhaltsamen Anekdoten, anschaulichen Begriffserklärungen und Interviews mit Wissenschaftlern, App- und Spiele-Entwicklern und Menschen, die vom Internet abhängig waren. Besonders bemerkenswert fand ich die Art, in der Adam Alter Studien beschreibt. Oft muss man ja beim Lesen von Studienbeschreibungen alle Gehirnzellen aktivieren und sich stark konzentrieren, um alles Wichtige im Kopf zu behalten und dem Vorgehen der Forscher zu folgen (mir geht das zumindest so), Adam Alter schafft es aber, die Studien in Geschichten zu verwandeln, die Spaß machen zu lesen und sogar so spannend sind, dass man wissen will, wie sie ausgehen. Ich jedenfalls konnte manchmal das Buch gar nicht aus der Hand legen, weil ich wissen wollte, wie’s weitergeht und auf eine weitere dieser kleinen Geschichten gehofft habe.



Nicht düster, sondern realistisch

Für ein Buch über abhängig machende Technologien besteht die Versuchung düster, dramatisierend und voller unheilvoller Prognosen zu sein, wie “Bald werden wir unser Leben ganz hinter Bildschirmen verbringen und einander nicht mehr in die Augen sehen. Kinder werden nur noch mit Virtual-Reality-Brillen auf der Couch sitzen und per Knopfdruck andere Kinder mobben.” Glücklicherweise widersteht Adam Alter in Irresistible dieser Versuchung und beschreibt die negativen Auswirkungen und Entwicklungen in sachlichem, realistischem Ton. In Irresistible wird die fortschreitende Entwicklung moderner Technologien als Teil des menschlichen Lebens angesehen, mit dem wir lernen müssen umzugehen und für den wir ethisch vertretbare Richtlinien finden müssen.




Der Fokus liegt auf Online-Spielen, Social Media kommt eher am Rand vor

Wer das Buch mit der Erwartung liest, zu erfahren, warum Social Media süchtig macht und was man dagegen tun kann, der könnte enttäuscht werden. Ich hatte gehofft, dass es im Buch ein oder zwei Kapitel gibt, die sich mit Social Media beschäftigen, weil mich das am meisten interessiert hat. Dieses Thema wird aber leider nicht ausführlich besprochen. Es gibt zwar einige Stellen, die sich mit Social Media befassen und die Frage, warum uns soziale Netzwerke so in ihren Bann ziehen, wird ab und zu kurz angerissen, der Fokus des Buchs liegt aber eher auf Online-Spielen.




Highlights

Hier ein paar meiner Highlights aus Irresistible, die mich am meisten überrascht, erstaunt und beschäftigt haben.




Not so fun facts:

  • Substanzgebundene Abhängigkeiten, wie Drogenabhängigkeit, und verhaltensbasierte Abhängigkeiten, wie die Abhängigkeit von Online-Spielen, aktivieren dasselbe Belohnungszentrum im Gehirn. Menschen, die vom Online-Spiel World of Warcraft abhängig sind, zeigen beim Starten einer neuen Mission im Spiel fast die gleiche Gehirnaktivität wie Heroin-Abhängige beim Schuß.

  • Amerikanische Schulkinder verbringen außerhalb der Schulzeit täglich über 7 ½ Stunden vor irgendeiner Art von Bildschirm, also Smartphone, Tablet, Computer oder Fernseher. ¹  In einer anderen Studie gaben (amerikanische) Teenager an, mehr über Textnachrichten zu kommunizieren als direkt mit anderen zu sprechen.




Denkanstöße:

Zwei Punkte, die mich weiterhin beschäftigen:

  1. Das Tückische an verhaltensbasierten Abhängigkeiten ist, dass das entsprechende Verhalten oft mit einem Gefühl von Fortschritt und Erfolg einhergeht und seine negativen Seiten deshalb lange nicht bemerkt werden: Bei einem Online-Spiel sammelt man immer mehr Punkte, bricht neue Rekorde und steigt Level für Level auf, je mehr man spielt, bei einem sozialen Netzwerk bekommt man mehr Likes und Follower, je mehr man kommentiert, liket und postet. Man sieht Erfolge, will immer weiter vorankommen und macht deshalb immer weiter. Auch wenn gerade nichts passiert, bringt die Hoffnung auf weiteren Fortschritt und Erfolg dazu, weiterzumachen und es fällt immer schwerer, aufzuhören.

  2. Im Internet gibt es keine Pausen, Unterbrechungen oder Wartezeiten. Es bietet uns ständig etwas Neues, damit wir ja nicht aufhören, deshalb ist es so leicht, davon mitgerissen zu werden und vorm Bildschirm hängen zu bleiben. Die fehlenden Unterbrechungen und Endpunkte machen es uns so schwer, uns loszureißen. Wenn wir aber unsere eigenen Stoppsignale setzen, wird es leichter. Dieser Punkt hat mich so beschäftigt, dass ich einen ganzen Beitrag darüber geschrieben habe.




Gute Nachrichten

Die Eigenschaft von Videospielen, abzulenken und uns alles andere für eine Weile vergessen zu lassen, hat auch ihre Vorteile. Manchmal ist Ablenkung genau das, was man braucht!

  • Der Videospiel-Klassiker Tetris, der schon damals seinen Entwickler so in seinen Bann gezogen hat, dass er Probleme hatte, das Spiel fertigzustellen (die Geschichte dazu findet sich auch in Irresistible), lenkte Personen, die in einer Studie ein simuliertes Trauma erlebten, anschließend so sehr ab, dass ihnen die negativen Folgen des Traumas erspart blieben.

  • Das Eintauchen in virtuelle Realitäten kann auch helfen, Schmerzen besser zu ertragen.  Opfer von Verbrennungen überstanden die schmerzhaften Verbandswechsel besser, wenn sie sich währenddessen über eine Virtual-Reality-Brille in eine virtuelle Schneewelt begeben konnten. Aus dem gleichen Grund hat mein Zahnarzt wohl über jedem Behandlungsstuhl einen Bildschirm, auf dem Patienten während der Behandlung anschauen können, was sie wollen.

Das waren nur ein paar Einblicke in Irresistible. Das Buch gibt es übrigens auch auf Deutsch. Und wer noch mehr von Adam Alter hören will, kann seinen Ted Talk “Why our screens make us less happy” anschauen. ²


Verweise

[1] Und das laut einer Studie von 2011, mittlerweile ist es wahrscheinlich noch mehr. https://www.pewinternet.org/2012/03/19/teens-smartphones-texting/

[2] Den Vortrag gibt es auch mit deutschen Untertiteln.

Beitragsbild von Kyle Hanson auf Unsplash