Psychophilie

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Selbstoptimierung - für den Anfang ein paar Beispiele

In meinem Projekt und auf diesem Blog geht es um Selbstoptimierung, was das genau ist, wird am besten durch ein paar Beispiele klar.

Wenn man Berichte über Selbstoptimierung liest, dann klingt das meist ungefähr so: "Bevor Max abends ins Bett geht, zückt er sein Smartphone und zieht Bilanz. 7.129 Schritte hat er heute zurückgelegt. 129 mehr als sein persönliches Tagesziel. Nicht mit reingerechnet die fünf Kilometer Lauftraining: Exakt 29 Minuten hat er für die Strecke gebraucht. Seine Kalorienzähler-App zeigt für heute 3300 Kalorien an, allein 410 machen die zwei Feierabendbier aus. Dank dem Bier hat er aber auch die empfohlene Menge an Kalium, Magnesium und B-Vitaminen erreicht. In seinem digitalen Tagebuch schaut Max nach, was er sich für heute vorgenommen hatte: Außer an den Punkt „Wäsche waschen“ kann er an alle Tasks einen Haken setzen. Noch ein schneller Blick in die Tracking-App: Das Smartphone insgesamt 202 Mal genutzt, Gesamtdauer drei Stunden neun Minuten, davon allein über eine Stunde Facebook. Höchste Zeit, die digitale Diät wieder etwas ernster zu nehmen! Für morgen hält er fest: Maximal zweieinhalb Stunden Handy. Bevor er sein Smartphone neben das Bett legt, aktiviert Max die Schlafüberwachungsfunktion und seine derzeitige Lieblingsapp zum Entspannen: Die Wahl fällt heute auf das leise Plätschern eines Bachs. Nach fünf Minuten schläft er tief und fest – was sein Smartphone ihm am nächsten Morgen bestätigen wird." ¹

Gerne wird auch der Quantified Self-Pionier und passionierte Selbstoptimierer Gary Wolf zitiert, der zeitweise neben Schlaf, Puls, Alkohol- und Koffeinkonsum auch täglich seinen Wert auf einer Narzissmusskala protokolliert hat. Klar das sind sehr passende Beispiele für Selbstoptimierung, weil sie prototypische Selbstoptimierer vorstellen, aber was ist mit normalen Menschen? Es wird oft vom Selbstoptimierungszwang gesprochen, dem man sich nicht entziehen kann, aber sicherlich wird so ein extremes Selbstoptimierungsverhalten nicht von allen Menschen praktiziert. Im Gegenteil, die Hardcore-Selbstoptimierer stellen wahrscheinlich nur eine kleine Gruppe der Bevölkerung. Max aus dem Beispiel von Oben gibt es beispielsweise gar nicht, den haben sich die Leute aus der Treibstoff-Redaktion ausgedacht. Aber um dem Selbstoptimierungstrend auf die Spur zu kommen, sollten wir uns vielleicht mal anschauen, wie sie bei “normalen” Menschen aussieht, die sich ihr nicht vollständig unterwerfen. Ich bin zum Beispiel so jemand, ich weiß nicht, inwieweit das Adjektiv “normal” auf mich zutrifft, aber im Bezug auf Selbstoptimierung bin ich definitiv kein Max. Wenn ich von meinem Selbstoptimierungsprojekt 500 Worte pro Tag zu schreiben berichte, dann klingt das ungefähr so:

Es ist kurz nach 9, ich sitze an meinem Schreibtisch im Keller, neben mir tickt der Timer des Lichtschalters und erinnert mich daran, dass in zwanzig Minuten das Licht wieder ausgeht. Wenn das keine effektive Pomodoro-Taktik ist, was dann? Eigentlich sollte ich mich freuen, ich bin an meinem heiligen Ort der Ruhe, kann endlich produktiv sein und mit meinen Projekten voran kommen. Danach habe ich mich schon den ganzen Tag gesehnt, in der Hoffnung meiner schlechten Laune doch noch zu entkommen. Jetzt sitze ich hier, die Knie tun mir weh, weil ich meine Füße wie immer auf der Sitzfläche meines Schreibtischstuhls habe. Ich muss jetzt endlich etwas schaffen, um aus diesem grauen Loch wieder rauszukommen, und meine 500 Worte für heute schreiben, aber mir fällt nichts ein! Die Uhr tickt unerbittlich weiter, gleich geht das Licht wieder aus. Um mit der Schreiberei in Gang zu kommen, habe ich mich entschieden, in der Fastenzeit 500 Worte pro Tag zu schreiben, das sind etwas mehr als eineinhalb Seiten. Wahrscheinlich liegt es an meiner katholischen Erziehung, aber in der Fastenzeit habe ich immer ein ganz besonders starkes Durchhaltevermögen. Dinge, die ich mir zu anderen Zeiten felsenfest vornehme und nicht durchhalte, zum Beispiel auf Süßes zu verzichten, schaffe ich in der Fastenzeit. Egal warum, es funktioniert: seit Aschermittwoch, der praktischerweise auf den 1. März fiel, schreibe ich jeden Tag meine 500 Worte. Würde man alles zusammennehmen, was ich bisher geschrieben habe, wären es über siebzig Seiten, fast ein halbes Buch und es hat noch nicht mal weh getan. Allerdings sind diese 70 Seiten alles andere als druckreif, es sind viel mehr lauter erste Entwürfe, in denen ich all meine Gedanken einfach auf’s Papier oder besser auf den Bildschirm geworfen habe. Das zu lesen will ich niemanden zumuten, aber ohne diese siebzig Seiten hätten die Gedanken wahrscheinlich niemals meinem Kopf verlassen. 306 Worte! Fast habe ich es geschafft für heute und meine Laune ist auch schon besser.

Hier noch ein paar andere Beispiele: Martin hat sich zum Ziel gesetzt, 20 Klimmzüge zu schaffen. Um sein Ziel zu erreichen, benutzt er eine App, die ihm jeden Morgen ein Workout mit Übungen zusammenstellt. Lena hat sich zum ersten Mal für einen Halbmarathon angemeldet, im Internet stellt sie sich einen 12-wöchigen Trainingsplan zusammen und trainiert drei bis vier Mal pro Woche danach. Philipp möchte die paar Kilo, die er seit seiner Hochzeit zugenommen hat, wieder abnehmen und verzichtet deshalb für drei Monate beim Abendessen auf Kohlenhydrate. Marie hat das Ziel, spontaner zu sein und mehr zu erleben, deshalb hat sie sich vorgenommen, in den nächsten drei Wochen auf alle Anfragen ihrer Freunde mit "ja, ich bin dabei!" zu antworten. Nicht nur Gary Wolf und der imaginäre Max sind Selbstoptimierer auch Martin, Lena, Philipp, Marie und ich. Was Selbstoptimierung genau ist und was nicht, ob sie gut oder böse ist, warum plötzlich alle darüber diskutieren und wie viel dran ist, an den ganzen Selbstoptimierungsmythen, damit werde ich mich hier beschäftigen und versuchen eine Antwort darauf zu finden.

Weitere Beiträge zu Selbstoptimierung:

Die Gründe für Selbstoptimierung

Selbstoptimierungskritik - die sechs wichtigsten Punkte

Was wirklich schlecht ist an Selbstoptimierung - meine beiden Kritikpunkte und Gegenmaßnahmen

Gibt es den Selbstoptimierungs-Zwang wirklich? - Warum ich mich das frage und ein Widerspruch als Antwort

Ist und macht Selbstoptimierung wirklich egoistisch?

Beiträge zum ersten Selbstoptimierungsexperiment:

Das Lerchenexperiment auf einen Blick

Worum geht es denn nun konkret? - Die 6 Forschungsfragen des Lerchenexperimentes

Was ich im Lerchenexperiment messe - von den Hypothesen zum Fragebogen

Verweise

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